Johanna Berweger, Leiterin des Learn2live Projekts in Jordanien:
Viel zu oft kommen mir traurige Geschichten zu Ohren von Syrern, die bedroht, betrogen oder erniedrigt werden, doch dies hier ist eine ganz andere.
Kanaan, einer meiner syrischen Lerntrainer, hat den 6er im Lotto gezogen!
Dies hat er, wie er selbst sagt, nicht dem Glück, sondern Gott zu verdanken, dem er vertraut und mit dessen Güte er rechnet. Sein Leben verlief allerdings alles andere als vorteilhaft. Anders als seine Landsgenossen erhielt der Mann weder von UNHCR, noch von einer anderen Organisation Nothilfe in Form von Essenscoupons oder Zahlungen für die Hausmiete. Kanaan trug die Verantwortung für seine eigenen 5 Kinder, seine Stiefmutter, seinen kleinen Bruder, der noch in die Schule geht und seine Schwestern. Sie alle wollten was in den Magen kriegen. Als qualifizierter Gymnasiallehrer kann er jedoch keine Hilfe beziehen und arbeiten darf er auch nicht – ein Dilemma. Vor rund 2 Jahren haben wir uns kennen gelernt. Kanaan hat mich auf Englisch angesprochen, sich vorgestellt und um Arbeit gebeten. Bald darauf unterrichtete er Nachbarskindern Englisch und Arabisch. Das Einkommen ermöglichte ihm, den Kopf über Wasser zu halten. Da er sich aber in seinem Haus nicht wohlfühlte, entschied er sich umzuziehen. Ein Früchtebauer ausserhalb von Mafraq machte ihm ein Angebot: Gratiswohnung für Landarbeit. Kanaan stieg darauf ein und zügelte. Er wohnt nun auf einem gepflegten Anwesen einer saudischen Familie. Ein wunderschöner Garten mit allen Arten von Fruchtbäumen umgibt die Sommerresidenz des Besitzers, der nur für 3 Monate im Jahr selbst anwesend ist. Ein riesiger indoor Swimmingpool, eine Empfangshalle für Gäste, sowie ein Hühnerstall mit Wasserbädli sind weitere Highlights der Anlage. Kanaan darf hier frei schalten und walten. Der Besitzer hat ihm alles anvertraut, sogar den Schlüssel seiner eigenen Wohnung. Er darf von allen Früchten im Garten essen und sie verarbeiten. Kanaans Kinder haben sich davon die Bäuche gefüllt, bis sie nicht mehr konnten!
Bald ist Zeit für die Olivenernte. Kanaan wird die guten Oliven zur Presse bringen und dem Besitzer die vollen Ölbehälter in die Küche stellen. Die schlechten Bäume der Anlage wird er ausreissen und ersetzen. Die dafür anfallenden Kosten kann er eigenhändig mit der Kreditkarte des Besitzers decken, mit welcher er auch seinen Lohn bezieht. Wenn das nicht schon genug wäre: Im Sommer durften seine Kinder mit denen von der saudischen Familie baden und alles was der Landherr auf dem Markt für seine Familie kaufte, kaufte er auch für Kanaans Familie. Kanaan ist nicht mehr ein armer Flüchtling. Er ist ein Gleichberechtigter, ein Mann mit Würde und Einfluss.
Johanna Berweger