Elsbeth Kunz hat drei erwachsene Kinder, ist glückliche Grossmutter und begeisterte Airbnb-Gastgeberin. Und: Die gelernte Kindergärtnerin gehört seit den Anfängen zum Kernteam der Stiftung NOIVA. Wir wollten von ihr wissen, was sie da eigentlich genau macht – und wieso.
Elsbeth, wie kam es zu deinem Engagement in der Flüchtlingshilfe?
Als Stiftungsrätin war ich von Anfang bei NOIVA dabei. Unsere Flüchtlingsarbeit begann mit einem spontanen Besuch in Jordanien. Was wir dort sahen, erschütterte uns. In kurzer Zeit stellten wir ein kleines Team auf die Beine. Seither helfen wir vor Ort, so gut wir können. Auch hier in der Schweiz habe ich oft mit Flüchtlingen zu tun: Einer Freundin und mir liegen die jungen Mütter ganz besonders am Herzen, und so haben wir in unserer Region einen regelmässigen Frauen-Treff initiiert, wo die Syrerinnen Austausch, Unterstützung und Freundschaften finden.
Was ist heute dein Job bei NOIVA – und was bedeutet er für dich?
Ich bin ehrenamtlich im Bereich «Personelles» tätig. Neben der Betreuung unseres Teams in Jordanien verbringe ich viel Zeit mit Bewerbungsgesprächen. Inzwischen erhalten wir für grössere Einsätze 40 bis 60 Bewerbungen. Da ist der Aufwand beträchtlich. Doch ein gründlicher Bewerbungsprozess lohnt sich: Die Helferinnen und Helfer aus der Schweiz müssen nicht nur ins Team passen, sondern auch wissen, was sie erwartet.
Für mich ist NOIVA ein Stück Berufung: Die vielen Kontakte sind sehr bereichernd. Es macht mir Freude, die Freiwilligen zu ermutigen, zu begleiten und auf ihren Einsatz vorzubereiten.
Was ist das Schönste an dieser Tätigkeit?
Mein persönliches Highlight ist jeweils der Moment, wenn ich eine Gruppe nach ihrem Einsatz am Flughafen Zürich begrüsse. Das lasse ich mir nur selten entgehen. Es gibt keine Worte für das, was ich in den Gesichtern der zurückkehrenden Helfer sehe! Menschen, die auszogen, um sich in andere zu verschenken, kommen erfüllt, beschenkt und berührt nach Hause.
Wieso sollte ein Helfer eigentlich so weit reisen und so viel Geld ausgeben? Ist es nicht besser, Flüchtlingen hier in der Schweiz zu helfen?
Man sollte beides nicht gegeneinander ausspielen. Wir finden es sinnvoll, syrische Flüchtlinge in Jordanien zu unterstützen: Sprache, Kultur und Religion sind ihnen vertraut. Trotz materieller Not haben sie es in Vielem einfacher als ihre Landsleute in Europa.
Was Kurzeinsätze im Ausland betrifft, greift eine rein materielle Betrachtung zu kurz. Viele unserer Freiwilligen hat ihr Aufenthalt in Jordanien verändert und geprägt. Zurück in der Schweiz, haben einige von ihnen begonnen, sich in ihrem eigenen Umfeld zu engagieren. Dieses Umdenken lässt sich nicht mit Geld aufwiegen. Ich bin überzeugt, dass es uns Schweizern und unserem Land gut tut, von uns selbst wegzusehen und Menschen in Not zu unterstützen. Es fliesst immer etwas zurück, wenn auch auf andere Art.
Wie hat sich deine Einstellung gegenüber Flüchtlingen in den letzten Jahren verändert?
Ich habe gelernt, hinter die Fassade zu blicken. Hier in der Schweiz plagt uns oft die Angst vor dem Unbekannten. Früher sah ich nur den Schleier, wenn ich einer Frau mit Niqab* begegnete. Heute sehe ich die Augen und die Sehnsucht darin. Wenn ich jemanden kennenlerne, nehme ich ihn oder sie nicht mehr als Flüchtling oder Einheimischen wahr, als Ausländer oder Schweizer, Moslem oder Christ, sondern als Mensch. Hinter dem uns fremden Äusseren verbergen sich dieselben Bedürfnisse.
Welches Schicksal ist dir besonders nahegegangen?
Bei einem unserer kulturellen Events in Jordanien saß ich neben einer alten Frau. Plötzlich kramte sie einige Fotos hervor und zeigte mir unter Tränen die verschiedenen Mitglieder ihrer Familie. Dann erzählte sie mir ihre Geschichte: Zu Hause in Syrien hatte sie eines Tages ihr Dorf verlassen, um Besorgungen zu machen. Als sie zurückkehrte, fand sie von ihrer grossen Familie niemanden mehr lebend vor … Das Einzige, was ich in diesem Moment tun konnte, war, die Frau in die Arme zu nehmen und mit ihr zu weinen.
Was ist dein Wunsch für NOIVA im neuen Jahr?
Dass wir nicht immer dem Geld hinterherrennen müssen. Vieles funktioniert sehr gut und wir sind dankbar für alle Erfolge – doch wir brauchen mehr Mitstreiter, die gemeinsam mit uns die finanzielle Last tragen. Deshalb sind wir zurzeit intensiv auf der Suche nach Gönnern, die uns monatlich mit einem fixen Betrag unterstützen.
* Der Niqab verhüllt Mund- und Nasenpartie und kann zusätzlich zum Kopftuch getragen werden.